Je lauter die Welt wird, desto mehr sehnen sich Menschen nach Stille.
Je hektischer die Welt wird, desto mehr sehnen sich Menschen nach Ruhe.
Je feindlicher die Welt wird, desto mehr sehnen sich Menschen nach Frieden.
Wir selbst gestalten unser Leben stressig. Wer schneller lebt, ist eher fertig, so sagt mancher und hat sich dann vielleicht wirklich ausgepowert und zu Tode gehetzt. Gleichzeitig steckt eine neue Sehnsucht nach Verlangsamung, man nennt es „Entschleunigung“, im Menschen und nach Tiefgang des Lebens im Unterschied zu viel Oberflächlichem, was man heutzutage meint mitnehmen zu müssen – vielleicht nur weil das alle tun?
In der Stille legen wir unseren Persönlichkeitsbau an, in der Stille keimt unser Charakter. Außerhalb der Stille wird man in der heutigen Zeit mit vielem zugemüllt. In nie geahnter Schnelligkeit werden wir mit einem Vielfachen an neuen Informationen konfrontiert. Und viele der Informationen sind Müll, oder brauchen wir sie alle? Nein, niemand.
Stille und das Abschotten geschieht nicht automatisch, man muss es bewusst wollen. Wir brauchen nicht immer noch mehr Fülle, die wir aufnehmen, sondern Stille, damit wir unterscheiden können, was für uns wichtig ist, und es dann verarbeiten. Wir brauchen Stille, um verstehen zu lernen. Und um hören zu lernen. Aber es fällt uns schwer, zur Ruhe zu kommen, weil es uns oft schwer fällt, das Wichtige vom Eiligen zu unterscheiden.
Der Tübinger Theologe Jürgen Moltmann hat gesagt: „Ein Mensch, der nicht hören kann, wird auch noch in seiner Frömmigkeit gottlos“. Die Frömmigkeit bleibt, aber Gott geht, wenn man nicht auf ihn hört. Mit der Folge, dass sich solche Menschen um sich selbst drehen; nur um ihre Gedanken und Pläne und Möglichkeiten und Beziehungen. Leben ist mehr, viel mehr. Darum brauchen wir die Horizonterweiterung durch Gott, der schon immer eine besondere Liebe zur Stille hatte.
Aber es schwingt noch viel mehr mit: Bibelzeit. Zwiesprache mit Gott. Hören auf ihn.
Neue Kraft aus dem Glauben. Hoffnung, die uns motiviert. Platzanweisung. Kurskorrektur, Gottesnähe, Anbetung des himmlischen Königs.
David bringt es in Psalm 62 auf den Punkt und schreibt in Vers 2 und 4 „meine Seele ist stille zu Gott“. Das hilft mir, denn Stille ist nicht einfach nur sich hinsetzen und nichts tun oder ein paar Termine aus dem Kalender zu streichen (damit es anschließend umso hektischer weiter geht, weil wir aufholen müssen?).
„Eins hab ich mir vorgenommen“, sagte mir ein gestresster Pastorenkollege, „die ersten 1000 Jahre im Himmel wird nur geschlafen“. Ok, lieber Bruder, aber dann, was dann?
Dynamik aus der Stille, so ist unser Thema. Stille kann vieles bedeuten: ein Mittagschläf-
chen. Inspirierende Musik. Ein Spaziergang. Schweigen. Malen, Basteln, Urlaub, die Seele baumeln lassen oder den Schaukelstuhl.
David nennt das Geheimnis Stille „zu“ Gott. Nicht einmal Stille „vor “ ihm ist das Entscheidende, was uns weiterbringt, sondern Stille zu ihm hin. Das drückt unsere Hinwendung und ein Ziel aus. Zu Gott soll unser Wesen, unsere Seele ausgerichtet sein.
Und weil Gottesnähe immer auch Geistesnähe ist, spreche ich von der Dynamik der Stille. Von der Kraft des Heiligen Geistes, die uns und unseren Charakter prägen kann. An manchen historischen Städten, etwa der Burg Greifenstein bei Herborn, steht eine kleine Maschine. Da steckt man eine Münze rein und wirft eine weitere in den Bezahlschlitz.
Und dann quetscht die Maschine auf die eine Münze ein neues Bild, ein neues kleines Relief. Mit der Burg drauf. Das Metall ist das gleiche geblieben, aber die Form der Münze hat sich in ein Oval verändert und eine neue Prägung ist sichtbar.
So ist das auch mit Gott. Das Meiste am Menschen verändert sich nicht, wenn Gott uns prägt, aber das Wesentliche. Wer vorher Pizza mochte, mag sie danach wohl auch noch. Und wer vorher schlecht in Mathe war, der muss sich auch danach noch anstrengen.
Aber wenn du einen Ort der Stille (räumlich, vielleicht die Bank am Wandrand, oder zeitlich, ein fester Punkt im Tagesablauf ) zu deinem Ort der Stille machst, um Gott zu begegnen und bei ihm Atem zu holen und deinen Gedanken Freiheit zu schenken, wirst du nicht mehr wie vorher in deinen Alltag zurück kehren – denn Gott hat mir dir geredet.
Ein Einsiedler wurde gefragt: „Welchen Sinn siehst du in einem Leben der Stille“. Er war gerade mit dem Schöpfen von Wasser aus einer tiefen Zisterne beschäftigt. „Schaut in die Zisterne, was seht ihr?“, fragt er. „Nichts“, sagten sie. Er wartet einen Moment und forderte sie wieder auf: „Schaut hinein, was seht ihr?“ Sie blickten erneut in die Tiefe und sagten „jetzt sehen wir uns selbst“. „Klar “, sagte der Einsiedler, „als ich vorhin Wasser schöpfte, war das Wasser unruhig, und ihr konntet nichts sehen. Jetzt ist der Wasserspiegel ruhig, und ihr erkennt euch selbst. Das ist die Erfahrung der Stille“.
Das allein ist aber zu wenig, nur sich selbst in der Stille zu finden. In einem seiner Lieder textet Christoph Zehendner: „In der Stille angekommen, leg ich meine Masken ab, und ich sage Gott ganz ehrlich was ich auf dem Herzen hab“. David in Psalm 62,9:“ Schüttet euer Herz vor ihm aus!“ Diese Begegnung mit ihm brauchen wir, und dabei ist Stille zwar nicht der einzige Weg, aber sicher einer der Wesentlichen - wenn nicht der Wesentliche.
Ihr/euer Pastor
Harald Petersen
Anregungen für die persönliche Bedenkzeit Ergänze die folgenden Sätze:
Stille ist für mich wie ...
(Benutze ein treffendes Bild, etwa „wie ein ruhiger See“; „wie der Gesang der Nachtigall“;
„wie ein Handy ohne Netz“)
Am ehesten komme ich zur Ruhe, wenn ...
Gegen Ablenkung in/von der Stille könnte mir helfen, ...
Manchmal habe ich Angst vor Stille, weil ...
Stille hat mir besonders geholfen, als ...